Meine Begegnung mit Matthias Ganter

An einem tropisch heißen Julitag im regenlosen Sommer 2022 reiste ich an die Mittelmosel nach Traben-Trarbach. Der Asphalt der Moselstrasse flimmerte, als ich auf dem Beifahrersitz nach meinem College Block griff, auf dem nur wenige, aber zentrale Fragen standen: Wie vermarktet man die Mosel im Hochpreissegment? Wer gibt in einer Schnäppchenregion 400 Euro pro Nacht für eine Suite aus und wie wird man von den Mitbewohnern im Dorf wahrgenommen, wenn man gleich mehrere Hotels im Ort besitzt? Wie hat sich die Moselregion in den letzten Jahrzenten entwickelt und wie stellt sie sich für die Zukunft auf? Wie meistern große Hotelbetriebe Probleme wie Mitarbeitermangel und Preisdruck? Addressat meiner Fragen war einer der Top Hoteliers an der Mosel: Matthias Ganter.

Ich hatte noch 10 Minuten Zeit bis zum verabredeten Zeitpunkt als ich in Traben mein Auto parkte. Oder parkte ich in Trarbach? Bei den ersten Malen fiel es mir sehr schwer zu verstehen wo denn nun Traben und wo Trarbach war. Die Ortsteile liegen jeweils am gegenüberliegenden Moselufer und ich suchte lange nach einer Eselsbrücke um mir auf ewig zu behalten, wo welcher Ortsteil war. Die rechte Hand ist da wo der Daumen links ist. Blickt man die Mosel abwärts ist Trarbach rechts, wo Traben links ist. Eigentlich ganz einfach, im Gegensatz zur Schreibweise. Gerne vergisst man bei Trarbach das „r“. Man spricht es auch nicht wirklich. Oder ich habe es immer überhört. An der Mosel sagt man ganz einfach „Trabn Trabach“.

Ich hatte noch 10 Minuten Zeit bis zum verabredeten Zeitpunkt als ich in Traben mein Auto parkte. Oder parkte ich in Trarbach? Bei den ersten Malen fiel es mir sehr schwer zu verstehen wo denn nun Traben und wo Trarbach war. Die Ortsteile liegen jeweils am gegenüberliegenden Moselufer und ich suchte lange nach einer Eselsbrücke um mir auf ewig zu behalten, wo welcher Ortsteil war. Die rechte Hand ist da wo der Daumen links ist. Blickt man die Mosel abwärts ist Trarbach rechts, wo Traben links ist. Eigentlich ganz einfach, im Gegensatz zur Schreibweise. Gerne vergisst man bei Trarbach das „r“. Man spricht es auch nicht wirklich. Oder ich habe es immer überhört. An der Mosel sagt man ganz einfach „Trabn Trabach“.

Egal wie man sich dem Ort nähert, man wird magnetisch von der Brücke angezogen, die die Stadtteile an beiden Moselufern verbindet. Wer den Ort besucht, merkt schnell: Hier stimmt was nicht. Imposante Jugendstillvillen lassen die Uferpromenaden des Orts wie eine Moselvariante großer Städte wirken. Salzburg oder Brügge, aber an einen typischen Moselort denkt man hier nicht.

Jeder Artikel, jedes Buch und jeder TV-Beitrag über Traben-Trarbach beginnt damit, die drei wirklich ausßergewöhnlichen Fakten über die Stadt zusammenzutragen. Ich nenne sie die heillige journalistische Dreifaltigkeit Traben-Trarbachs. 1. Die Stadt ist so gut wie komplett unterkellert. 2. Der Grund für die Keller, waren die tausenden Weinfässer, die von hier überall in die Welt geschifft wurden. 3. Der Grund, warum das in Traben-Trarbach anders war als in den Nachbardörfern liegt an der Konfession ihrer Bewohner. Das quirlt den Traben-Trabachern mittlerweile vermutlich mehr aus den Ohren als die Silberlinge aus ihren Taschen.

Um das Jahr 1900 war die Stadt für Moselriesling das gewesen, was das Meddelin der 90er Jahre für Kokain war – der Hauptumschlagsplatz. Als evangelisches Städtchen an der katholischen Mosel ging der Wein von hier aus an protestantische Handelspartner. England, Niederlande, Berlin. Millionen Liter, die sich in Millionen Reichsmark verwandelten, während in den Nachbardörfern bäuerliche Armut herrschte. Noch heute verbindet das katholische Kröv mit Traben-Trarbach eine (vielleicht im Neid zu begründende) Rivalität.

Matthias Ganter könnte ein Enkel dieser Zeit sein, und wenn ich ehrlich bin, dachte ich das auch als ich mich auf dem Weg vom Auto zum Moselschlösschen machte um Ganter zu treffen. Das Moselschlösschen ist kein wirkliches Schloss, aber in jedem Fall ein Ort, andem man als Gast königlich behandelt wird. Es ist eines von vier Hotels im Ort, die Ganter aufgebaut hat.

Er begrüßte mich im Innenhof der Anlage mit einem festen Händedruck und charmanten Lächeln. Mit seinen schwarzen Haaren, seinem breiten Oberkörper und seinem schelmischen Gesichtsausdruck könnte er der sportlichere jüngere Bruder von Fernsehkochlegende Johann Lafer sein. Ganter bat mich in sein Büro, indem er zuvor noch mit seinem Prokuristen die Quartalszahlen durchging. Eine Tätigkeit um die ich ihn nicht gerade beneidete. Beneiden kann man ihn aber definitv um sein Charisma. Er scherzte mit der Angestellten, schenkte mir lässig Wasser ein, schlug die Ärmel seines Hemdes um und wollte zunächst einmal alles über mein Vorhaben wissen. Ganter ist um die 60 Jahre alt, aber aus seinen Augen blitzt jugendlicher Tatendrang und fast schon kindliche Neugier.

Zweifelsohne, diesen Mann könnte man problemlos als neuen FC Bayern Trainer vorstellen und gewänne er die ersten Spiele, würde selbst die BILD nicht nachfragen, welche Trainervorerfahrungen er denn habe. Zu gerne hört man ihm zu. Zu gerne umgibt man sich mit ihm. Nicht weil er schauspielt, sondern weil er echtes Interesse an den Menschen hat, die ihn umgeben.


Meinen College Block legte ich erst einmal bei Seite. Ich wollte wissen wer dieser Mann genau war, von dem man auf den ersten Google Seite eigentlich nur erfährt, dass er sich lange und ausführlich mit dem Hoteliersverband DEHOGA rechtlich auseinandersetzte.

Ganter kam 1990 an die Mosel. Als Pächter des Jugenstilhotels Bellevue in Traben-Trarbach. Aufgewachsen ist er im elterlichen Landgasthof zum Rössle in Rötenbach im Schwarzwald. Schon sein Großvater war Hotelier. Während um 1900 herum der Wein in Traben-Trarbach fässerweise verschifft wurde, arbeitete dieser in London und hatte dort vielleicht auch schon eine Flasche Mosel Riesling in der Hand, die damals, im Gegensatz zu späteren Zeiten ein kleines Vermögen kostete. In Paris und Oran an der algerischen Küste war er ebenso tätig. Jedoch wurde er dort krank und kehrte in seinen Heimatort Rötenbach zurück. „Dort wurde er dann verkuppelt“, so Ganter, „da gab es einen Gasthof samt drei Töchtern und da musste ein Mann her. Er hat sich dann breitschlagen lassen.“

Auch wenn es sicherlich schon romantischere Kennenlerngeschichten gab, waren Ganthers Großeltern mit dieser eingefädelten Verkupplung komplett. Eine Art Tinder der Zweckmässigkeiten. Ort braucht Hotel. Hotel braucht Mann. Mann braucht Zuhause. It´s a Match!

„Mein Großvater hat den Hotelbetrieb nach vorne gebracht. Er wurde in den Nachkriegsjahren sogar Bürgermeister der Stadt. Sprach fließend französisch, was sich als sehr nützlich herausstellte im französisch besetzten Schwarzwald. Später war er Ehrenbürger und eine Strasse wurde nach ihm benannt. Er hat sehr viel für den Tourismus in der Gegend getan.“

Auch Ganter selbst bereiste die Welt als sein 8 Jahre älterer Bruder den Familienbetrieb übernahm. Freiburg, Bonn, London, Montecarlo, Stuttgart, Sidney. Er lernte Koch und Hotelfachmann , gönnte sich ein Sabbatjahr in Südostasien und Australien und lernte im thailändischen buddhistischen Kloster das Meditieren. Heute gehört das zur Vita eines jeden zweiten Abiturienten, vor 30 Jahren allerdings war das eine absolute Seltenheit.

„In Australien habe ich die Reiseleitung für eine IKARUS-Reise gemacht. Das war eine sehr teure Reise und ich habe meinem Bekannten, der mich vermittelt hat versprochen, dass ich denen nicht sage, dass ich das noch nie gemacht habe“. Ganter lachte verschmitzt.

Sein Wunsch war schon immer die Selbstständigkeit. In Haan bei Düsseldorf wurde er dann Leiter eines Hotels einer kleinen Hotelkette. „Dem Eigentümer der Hotelkette hat auch das Bellevue in Traben-Trarbach gehört. Dort gab es nur Probleme und ich sollte mich darum kümmern. 1990 war das. Zunächst als Direktor, dann ab 1992 als Pächter. 1998 habe ich das Hotel Bellevue dann gekauft. Ich habe mich dann aber immer erweitern wollen. 1996 erwarb und sanierte ich den Trabener Hof. 2011 kam das Moselschlösschen dazu. Ich wollte aber immer Altes erhalten. Das Palais Kayser ist das einzige, was ich komplett neu gebaut habe.“



Das Palais Kayser wurde 2021 fertiggestellt und ist eine Villa mit 10 Suiten, die sich neben dem Hotel Bellevue in die Moselpromenade einreiht. Jede Suite hat ihr eigenes Thema und nimmt Bezug zum Leben des Namengebers Julius Kaysers. Der „Moselkayser“ war einer der bereits angesprochenen Weinhändler in Traben-Trarbach. Deutschlandweit gut vernetzt mit Prominenz aus Kunst und Kultur ließ er sich vom Berliner Architekten Bruno Möring einen imposanten Weinkeller entwickeln, natürlich im Jugendstil. Heute befindet sich dort das Buddha Museeum. Ja! Richtig gelesen! Europas größte Buddha Sammlung befindet sich mitten an der urigen Mosel. Geschaffen von einem buddhistischen Mainzer IT Unternehmer namens Wolfgang Preuß, der, 1990 ein von der Mannesmann Gruppe genutztes Erholungszentrum zu einem 5-Sterne Ayurveda Hotel umbaute. Das Parkschlösschen, das in Traben – Trarbach und an der Mosel der absolute Vorreiter im Luxussegment war.


An die Stimmung an der Mosel Anfang der 90er Jahre konnte sich Ganter genau erinnern: „Es war alles so fixiert auf den September und Oktober. Ich habe aus Spaß immer gesagt, dass der Moselaner bis Mitte August jammert, das nichts los sei um dann am 16. September zu hoffen, dass die Saison bald vorbei sei,“ Ganter lacht, „der schlechteste Monat für Winzer ist aber der Februar, da er da nur 28 Tage zum Jammern hat.“ Nun lachten wir beide aus vollem Herzen.


„Die Weinqualität damals war viel schlechter als heute. Mir ist aufgefallen, dass die Grundmarketingidee der Winzer war, dass es billig sein muss. Jahrzente wurde eine völlig falsche Tourismusstrategie gefahren, die darauf ausgelegt war, soviel Wein wie möglich in die Leute zu bringen.“ Ganter lacht beherzt, „Züge aus dem Ruhrgebiet voller Kegelclubs, die schon besoffen ankamen, drei Tage weitersoffen und dann wieder nach Hause sind und sich vermutlich an nichts erinnern konnten. So lief das in den 60er und 70er Jahren.“

Doch wie kann man sich im hochpreisigen Hotelsektor aufstellen, wenn die Hauptklientel lediglich an Billigwein und Schlager interessiert ist? Ganter erkannte früh seine Nische. Er war mit dem Hotel Bellevue zwischen Koblenz und Trier das einzige Hotel, das das ganze Jahr über offen hatte. Man konnte ab dem 31. Obktober schlichtweg nirgenswo essen gehen an der Mosel. „Da waren die meisten Gastronomen auf irgendwelchen Inseln und haben ihr Schwarzgeld verblasen“, lachte Ganter.

„Mir hatte damals auch jeder gesagt ich soll die Tür zunageln und die Glühbirnen rausdrehen. Aber wir haben keinen Ruhetag gemacht und nicht zugemacht, sodass jeder irgendwann wusste, dass man bei uns immer essen und übernachten kann.“


Das Hotel Bellevue wurde von Jahr zu Jahr zu dem Anlaufpunkt schlechthin für Firmenanlässe sowie Geschätskundenunterbringung. Als dann 1998 noch die Unterbringung der Ryanair Piloten vom Flughafen Hahn dazukam wurde es mehr und mehr international. Gutverdienende Norweger und Engländer liebten es an der Mosel: „Gutes Essen und schöne Weine für kleines Geld. Einige kauften auch Wohnungen“, so Ganter.
Das Bellevue brummte! Doch strahlte das auch auf die Umgebung ab?


„Ich war schon jemand, der sehr stark in den Kontakt ging mit den Kollegen und kenne auch alle Kollegen in den guten Häusern. Was sich in den letzten 30 Jahren an der Mosel getan hat ist wahnsinn.“ Ich unterbrach Ganter an dieser Stelle ungern, musste aber nachfragen, ob er nicht auch mit seiner offenen Art vor verschlossene Türen gelaufen ist oder auch Neid erfahren hat. „Neid hat an der Mosel nochmal eine besondere Form. Das liegt aber denke ich an der Topographie des Tales. Es ist etwas anderes ob ich immer nur einen einzigen Menschen als Gegenüber habe oder ob ich einen Rundumblick habe mit auch anderen Leuten, auf die ich auch noch neidig sein könnte“, Ganter schmunzelt, „bei den Winzern war das zum Teil ja so, dass sie untereinander gar nicht gesprochen haben. Und wenn sie ins Restaurant gekommen sind haben sie ihren eigenen Wein bestellt. Dann war schonmal eine Flasche weg.“

Ganter selbst hat schon gemerkt, dass er zu Beginn argwöhnisch betrachtet wurde, die Leute aber schnell merkten, dass er sich engagierte und das Bellevue für absolute Gastfreundlichkeit stand. „Bei uns gab es für jeden Anreisenden auch zu späterer Stunde immer was zu essen. Halfen wir aus dem Mantel und merkten, dass der Aufhänger kaputt war, wurde der in der Zeit, in der der Gast aß wieder angenäht. Wir legten für uns fest: Unfreundlichkeit ist Körperverletzung am Gast. Angestellte, die unfreundlich waren mussten sofort gehen.“

Ich fragte mich mehr und mehr, wo Ganter seine Gäste herbekam. Der größte Teil der Moseltouristen wohnt in kleinen Gasthäusern oder direkt bei den Winzerfamilien in der Ferienwohnung, speist am liebsten günstig und reichhaltig. Wie gelang es ihm die Mosel mehr und mehr Leuten schmackhaft zu machen, die mehr als 250 Euro für eine Übernachtung ausgeben wollten?


„Das beginnt mit der eigenen Philosophie“, so Ganter, “Preiskampf findet überall dort statt, wo es nichts besonders gibt. Es muss einem, mit egal welchem Produkt gelingen, dass die Leute sagen, dass es ihnen egal ist ob das jetzt 5 Euro mehr oder weniger kostet. Weiter darf wirtschaftlicher Erfolg niemals die Motivation sein. Geld und wirtschaftlicher Erfolg sind nur das Abfallprodukt einer homogenen Unternehmensführung. Wenn man etwas mit Herzblut macht, kommt das Geld fast automatisch. Das kann man nicht verhindern. Ganz wichtig ist auch, dass man in guten Zeiten investiert. Das ist ein spezielles Thema an der Mosel. Gerade in der Vergangenheit fing man vielerorts viel zu spät an darüber nachzudenken, warum die Gäste ausbleiben. Selbst ein gut laufender Betrieb funktioniert nur zu 95 Prozent gut. Bei den übrigen 5 Prozent muss stetig nachjustiert werden. Ein Hotelzimmer hat bei guter Aulastung eine halbwertzeit von 10 Jahren. Danach muss das komplett renoviert werden.“

„Die Kundenklientel hat sich verändert. Die Leute reisen viel mehr als früher und haben viel mehr Vergleichsmöglichkeiten. Es gibt nicht mehr den klassischen 3- oder 5 Sterne Gast. Der Gast von heute macht ein Wochendende – Hamburg – Elbphilharmonie und wohnt im Elysée, zwei Wochen später geht er wandern im Allgäu und schläft im Heu und danach geht’s an die Mosel zu uns.“

Ganter beschreibt damit exakt, wie auch ich mit meiner Familie Urlaub mache. Und obwohl man häufig in unterschiedlichen Kontexten reist verliert man nie das Gefühl für ein ordentliches Preis-Leistungs-Verhältnis. Ich habe oft das Gefühl, dass es Häuser gibt, die preislich sehr ordentlich anziehen, ohne aber das damit verbundene Dienstleistungsversprechen zu halten. In meinen Augen steht und fällt das Konzept eines jeden Hotels mit den Mitarbeitern, die das Konzept auch am Gast leben müssen.
Ist das in ländlichen Regionen wie der Mosel nicht das Hauptproblem? Gute Mitarbeiter zu finden, die abgeschieden von Großstädten in kleinen Dörfern Karriere machen wollen?

Ganter nickt: „Besonders herausfordernd ist es für die Mitarbeiter Unterbringung zu finden. Dadurch, dass jeder in den Orten Ferienwohnungen macht werden diese Wohnungen dem normalen Wohnungsmarkt entzogen. Wir gehen soweit, dass wir Häuser kaufen, in die wir kleine Apartments für unsere Mitarbeiter reinbauen. Sie haben dann kurze Wege zur Arbeit und auch ein soziales Umfeld – Gleichgesinnte. Das ist unheimlich wichtig in einem Ort, in dem es kein Kino und keine Disco gibt und in dem von November bis Ostern nichts los ist.“

Ganter war es irgendwann ebenso Leid darauf zu hoffen, dass bei einem Wasserschaden die Handwerker zeitnah auftauchen und gründete kurzerhand seine eigene Baufirma mit 15 Mitarbeitern.

Die Gastronomie und Hotelbranche muss sich aktuell mit etlichen Problemen herumschlagen. Preise explodieren in jedem Glied der Produktionskette. Alle wollen, dass faire Löhne gezahlt werden, frische Zutaten benutzt werden und die Küche immer offen ist, am besten ohne Ruhetage, aber den Preis dafür möchten die wenigsten zahlen.

„Frische Küche wird immer teuer sein“, hakte Ganter ein, „Die Pizza hier im Ort kostet 10 Euro. Ein Getränk dazu und ich bin bei 15 Euro pro Person. Ich kann aber auch im Reiler Hof in Reil 42 Euro für ein Filet ausgeben. Jetzt hat hier in Traben eine tolle Tapas Bar namens „Die Mosel“ aufgemacht, da bezahle ich dann für jedes kleine Häppchen und entscheide so wieviel ich ausgeben möchte. Ich denke, dass der Gast auf diese Weise entscheiden wird, was er haben möchte. Aber der Wurstsalat vom Aldi darf es nicht sein. Die Leute wollen schon auch was besonderes.“

Ganter hat an der Mosel sein Zuhause gefunden. „Ich lebe wahnsinnig gerne hier. Man muss im Winter auf jeden Fall dafür sorgen, dass man mal rauskommt, weil man auch das Licht braucht. Das Leben hier ist wahnsinnig entschleunigt. Ich gehe immer zu Fuß vom Arbeiten nach Hause und treffe hier jemanden und dort jemanden. Eine Geschichte hat mir sehr geholfen die Mosel und ihre Bewohner zu verstehen. Ein Bekannter zeigte mir einmal sein Elternhaus, das er hier im Ortskern in Trarbach gerade frisch renovierte. Da gingen wir in den ersten Stock und er sagte, dass hier früher im Winter die Kühe standen. Im ersten Stockwerk! Und gegenüber im Zimmer wurde der Wein gekeltert. Da wurde mir klar, wie mühsam, hart und eng das Leben hier an der Mosel stattfand. Im Schwarzwald war für uns Platz kein Thema. An der Mosel spielte das aus verschiedenen Gründen immer eine Rolle.“

Auch die protestantische Prägung des Ortes in einer katholischen Umgebung fiel Ganter scnnell auf:
„Dass zum Beispiel der Tennisverein im Ort 1905 von 17 Frauen gegründet wurde, könnte ich mir in einem katholischen Umfeld indem ich aufgewachsen bin nur schwer vorstellen.“

Infokasten:

Ein Blick in die Chronik des Tennisclub Wildbad 1905 ist hochinteressant: „Gerade einmal drei Jahre zuvor war der Deutsche Tennis-Bund gegründet worden und mit dem ersten Wimbledon-Turnier 1877 war das mittelalterliche Ballspiel mit neuen Regeln erst 28 Jahre zuvor in die Welt-Sportgeschichte eingetreten.“

„Neben den „Casino“-Räumen, dem lokalen Forum für Politik und Wein, fand das gesellschaftliche Leben bevorzugt in der „Goldenen Traube“ zu Trarbach statt und ein dortiger Damen-„Stammtisch“ sollte zur Keimzelle des Tennisclubs werden. Hier trafen sich emanzipierte Damen beider Stadtteile schon vor deren Zusammenschluss regelmäßig und im Weindunst könnte der kühne Entschluss geboren worden sein, im weiblichen Alleingang eine Vereinsgründung zu wagen. Heute würde man die Entscheidung der 17 weiblichen Gründungsmitglieder eine innovative Tat nennen. Dieses Vorhaben in einer männer- und militärbetonten Zeit zu verwirklichen, in der jegliche sportliche Betätigung als rein männliche Domäne galt, nötigt uns auch nach hundert Jahren noch großen Respekt ab.“

„Ich empfinde die Lebensaufgabe, die ich hier gefunden habe als großes Glück. Ich kann hier sehr kreativ sein, entfalten, erhalten und verwalten. Mir geht es nicht ums Geld.“, beteuert Ganter, „Ich müsste 130 Jahre alt werden um all meine Schulden abzutragen. Wir haben hier im Moselschlösschen ein Spa gebaut für 11 Millionen, das es so nur hier gibt. Dann das Palais Kayser, das so in seiner Form einzigartig ist. Das ist wunderschön wenn die Leute dann kommen und wissen wollen was wir wieder neues gemacht haben.“

Im operativen Geschäft ist Ganter heute nicht mehr tätig. Das Moselschlösschen als auch das Bellevue werden von Hotelleiterehepaaren geführt. „Setze Vetrauen in Menschen und du bringst das Beste in ihnen zum Vorschein“, sagte er dazu, „Ich bin für mich persönlich unheimlich dankbar, dass ich viel umsetzen konnte in meinem Leben von dem was in mir steckt. Mir ist es nie langweilig und durch den Buddhismus gelang es mir auch mich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Wir sind nur auf der Durchreise und es ist alles nur geliehen. Und Geld ist nicht zum Scheffeln da, sondern Geld muss immer fließen. Geld ist Energie, nichts anderes. Vielleicht denken Menschen von außen über mich, dass ich immer mehr und immer mehr will, aber das ist nicht mein Ziel. Ich will mehr Dinge umsetzen, aber nicht mehr Geld scheffeln. Oft habe ich bei meinen Entscheidungen das Gefühl, dass da eine höhere Macht das Zepter in der Hand hat.“

Ganters Worte berührten mich sehr als unser Gespräch langsam ausklang und wir uns herzlich verabschiedeten. In den Kreislauf des Gebens einzutreten und das Glück zu haben an Orte und Menschen zu geraten an und mit denen man sich und seine Talente einbringen kann ist in meinen Augen das Größte im Leben.

Nach dem Gespräch führte mich eine Mitarbeiterin durch den neuen Spa Bereich. Sonja, 33 Jahre. Sie war Managerin des Bereichs und hatte erst wenige Wochen zuvor im Betrieb angefangen. Ihr Freund arbeitete ebenfalls im Moselschlösschen, als Küchenchef. Beide arbeiteten zuvor auf Kreuzfahrtschiffen und steckten während der Corona Krise viele Monate im unterschiedlichen europäischen Hafen fest. Nun suchten sie etwas Sesshafteres. Ob sie für immer an der Mosel bleiben möchten, wussten sie nicht.  

Der Spa Bereich, durch den wir gingen ließ mich staunend zurück. Stilvoll, moderne Einrichtung mit nach Traben-Trarbach gerichteten Infinity Pool. Das Publikum konnte kosmopolitischer nicht sein. Es war als tauchte man in eine Parallelwelt ein, aber auch das ist die Mosel. Mosel im absoluten Luxus-Segment. Eine Frau im Bademantel bekundete uns überschwänglich ihre Freude hier zu sein.

Als ich die Treppen des Moselschlösschens hinunterging fühlte ich mich unheimlich belebt und leer zu gleich. Unsicherheit machte sich breit, ob ich wirklich Antworten auf meine Fragen gefunden habe?

Immer wieder kam mir in den Sinn, dass Orte wie Traben-Trarbach von ihrer speziellen Geschichte leben, ich mir aber nur schwer vorstellen kann, in welche Richtung die touristische Ausrichtung für die nächsten Jahre geht. In den Corona Jahren 2020 und 2021 machte sich an der Mosel Hoffnung breit. Etliche junge Menschen, vor allem junge Paare tummelten sich auf den Wanderwegen und in den Weingütern. Es schien als entdeckte eine neue Generation die Mosel für sich. Als ich dann jedoch im Sommer 2022 durch die Fußgängerzone in Bernkastel ging musste ich feststellen, dass sich das Durchschnittslater der Reisenden wieder auf den Stand vor Corona angehoben hat, während sich die jüngere Generation die Füße an den Flughafenschaltern platt stand um nach Terneriffa, Ibiza und Thailand zu fliegen. Die Frage, die offen bleibt ist: Wer von den jetzigen Moseltouristen wird auch noch in 20 Jahren die Mosel bereisen? Und wie kann eine neue, jüngere Klientel angesprochen werden?

Ganter hatte den gleichen Gedanken vor Jahren als er sich die Gäste im Moselschlösschen angeschaut hat. „Wer von denen wird in 10 Jahren noch kommen?“. Da wusste er, dass er die Mosel mehr den jungen Leuten schmackhaft machen muss. Ein Grund warum er um den exklusiven Spa Bereich für zunächst 6, dann 9 und am Ende 11 Millionen erweitert hat. Reisen wird künftig teurer werden. Mit dem Elektroauto von Köln nach Österreich wird auch kompliziert. Urlaubsregionen in der direkten Umgebung werden einen Vorteil haben. Ganter erkannte, dass wir in einer kompletten Transformation der Bedürfnisse und Werte leben. Die Ernährung und das Gesundheitsbewusstsein der Leute ändert sich ebenfalls.

Ob es wirklich so sein wird, dass sich Qualität in der Moselgastronomie durchsetzen wird, wie Ganter sagte? Zu oft habe ich beobachtet wie Moseltouristen über den Preistafeln der Gastromie Betriebe stehen. Wer hat noch ein Weißbier für 3,50 Euro? Wo bekomme ich noch eine Brozzeit unter 5 Euro? Oft hat es mich wütend gemacht wie Moselaner sich diesem Preiskampf hingeben. Warum nicht mit breiter Brust tolle Produkte zu guten Preisen anbieten? Hat man in kleinen Orten zu viel Angst davor als Halsabschneider zu gelten? Welche Machtkämpfe und Neidexzesse herrschen in den idylischen Moselorten? Wir werden im Laufe des Buches darauf zurückkommen.

Im Nachhinein dachte ich mir, dass Matthias Ganter im Hotel Bellevue und im Moselschlösschen mit viel mehr Touristen zu tun hat, die weniger preisorientiert und mehr erlebnisorientiert sind. In seinen Häusern findet zweifelsohne das süße Leben statt und der einzelne Euro muss nicht so oft umgedreht werden wie andernorts an der Mosel. Aber stellvertretend ist das sicherlich (noch) nicht.

Durch eine gewisse Größe und Vielzahl an Hotels, die in einer Hand liegen ist man in der Lage Problemlösungen in einem ganz anderen Maßstab anzugehen. Ganter erzählte mir zum Beispiel, wie eine Bekannte von ihm auf Madagascar eine Schule für Deutschunterricht eröffnete und wie sein Haus durch die Kooperation mit der Schule neue Auszubildende gewinnt, die dann auch direkt in der eigenen Unterbringung für Angestellte wohnen können.

Ich erinnerte mich an meine Zeit in der Schweiz zurück. Als Angestellter der Tschuggenhütte in Arosa lebte ich einem sogenannten Staff-Haus im Ort Arosa in Graubünden. Per Gondel gings zur Arbeit und abseits der Arbeit hieß es Ausruhen und Feiern. Der Unterschied zur Mosel war, dass in Arosa in der Winterzeit Hauptsaison ist und im ganzen Dorf Halli Galli herrscht. Die Mitarbeiter rekrutierten sich aus ganz Europa, weil sich hier ganz leicht Arbeit, Wintersport und Party verbinden lässt. Aber wie ist es an der Mosel zur Hauptsaison? An vielen Orten wurde im Sommer 2022 ganz offenkundig kommuniziert, dass z.B. die Küche aus Personalmangel geschlossen bleibt. Kein Hotelbetrieb, der nicht Aushänge vor der Tür hatte, an denen er offene Stellen ausschrieb.

Wird sich gerade da an der Mosel nicht die Spreu vom Weizen trennen? Große Betriebe, die ihren Mitarbeitern eine eigene Infrastruktur bieten können und kleine Betriebe, die darauf hoffen müssen, dass sich aus der direkten Umgebung jemand findet um die Arbeit am Gast umzusetzen. In einer älter werdenden Bewölkerung, in einer Region, in der man zum Studieren hunderte Kilometer wegzieht und meist auch nur noch an den Weihnachtsfeiertage zurück kommt ist das eine Mammutaufgabe.

Durch Ganter habe ich eine neue Perspektive auf die Mosel gewonnen. In seinem Universum wird groß und visionär gedacht um den Menschen das Kleine und Romantische zu präsentieren. Die Skalierbarkeit von Unternehmensfaktoren spielt aber auch in so einem Idyll wie der Mosel eine immer größere Rolle. Ab wievielen Mitarbeitern lohnt sich eine eigene Mitarbeiterunterkunft? Ab wann macht eine eigene Baufirma Sinn? Welche Belegung brauche ich um das ganze Jahr über offen zu sein? Diese Fragen muss man sich zwangsläufig stellen, möchte man das Angebot auf die Bedürfnisse moderner Reisende abstimmen. Damit wird auch einhergehen, dass wir vielerorts das Kleine, das Altbackene, aber auch das Romantisch-Skurrile verlieren werden.

Immer wieder erinnere ich mich an die Worte eines holländischen Campingplatzbesitzers an der Mosel, den es an den Fluss verschlagen hat, „da hier die Uhren stehengeblieben sind“. Was bleibt also, wenn die Zeiger der Uhr nun doch langsam in Bewegung kommen?

Die Mosel ist im Wandel wie vielleicht keine andere Region in Deutschland. Momentan ist es als könne man an der Mosel in zwei Richtungen des Zeitstrahls blicken: In die Vergangenheit, aber auch in die Zukunft. Im nächsten Kapitel kommen wir zu der Geschichte einer jungen Winzerstochter, die ordentlich an den Zeigern der Uhr schraubt, indem sie Papas Moselriesling auf Tik Tok präsentiert.

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